Das Modell USA und die deutsche Hochschullandschaft
von Daniel Fallon
In den fortgeschrittenen Wirtschaftsländern hat sich eine revolutionäre Situation für das Hochschulwesen entwickelt, in der grundlegende Änderungen in der Organisation der Universitäten und Fachhochschulen unabwendbar geworden sind. Dabei hat Deutschland heute eine echte Chance, sein Hochschulwesen so zu reformieren, da▀ es wieder die inter-national besten Universitäten haben kann, für die es früher einmal so berühmt war.
Viele Deutsche hoffen, durch ein besseres Verständnis der amerikanischen Universitäten deren Erfahrungen auch auf Deutschland anwenden zu können. Ich glaube nicht, da▀ Ideen einfach von einem Land auf ein anderes Land übertragbar sind, um brauchbare Lösungen für die eigenen Probleme zu erlangen. Jede Nation mu▀ ihre eigenen Institutionen für ihre Gesell-schaft selbst gestalten. Ich glaube aber, da▀ sich Probleme, mit denen moderne Staaten kon-frontiert sind, ähneln, so da▀ letztendlich die gefundenen Lösungen wahrscheinlich entspre-chend ähnlich sind.
Höhere Bildung für viele
Die sicher wichtigste soziologische Entwicklung innerhalb des Hochschulwesens in den heu-tigen fortgeschrittenen Wirtschaftsländern ist die Erreichung der höheren Bildung für eine breite Masse. In Deutschland haben mehr als 30 Prozent der Bevölkerung im Alter unter 30 Jahren an einer Art höheren Bildung Teil, in den Vereinigten Staaten hat dieses Verhältnis die Grenze von fünfzig Prozent überschritten. Entsprechend kann es nicht mehr die höchste Ziel-setzung des Hochschulwesens sein, eine relativ kleine Führungsschicht auszubilden. Viel-mehr mu▀ man dafür sorgen, da▀ die Bevölkerung voll an einer hochentwickelten Wirtschaft, die Beherrschung von Wissen und Information verlangt, teilnehmen kann.
Die moderne Wirtschaft braucht ein stark differenziertes Hochschulwesen, in dem möglichst viele Bürger geschult werden können, wenn auch nicht in gleicher Weise oder auf gleicher Ebene. Eine Tendenz zur Gliederung der tertiären Bildung in unterschiedliche Institutionen hat in Deutschland mit der zunehmenden Differenzierung zwischen Universitäten und etwa Fach-hochschulen, Pädagogischen Hochschulen oder Berufsakademien bereits begonnen. Den-noch beherbergen Universitäten und Gesamthochschulen immer noch über 70 Prozent aller Studenten.
Wege der Differenzierung in den USA)
In den Vereinigten Staaten gibt es ungefähr 3500 Institutionen, die als höhere Bildungsstätten bezeichnet werden können, einschlie▀lich etwa 1400 'Communitiy Colleges', d.h. lokale Institu-tionen mit Studienplänen von nur zweijähriger Dauer. In Deutschland ist es selten, da▀ man zwischen einzelnen Universitäten Unterschiede macht, d.h. jede Institution mit diesem Namen sucht die gleiche Unterstützung vom Staat und ist bestrebt, die gleiche Aufgabe wie jede an-dere Universität zu erfüllen. In den Vereinigten Staaten tragen viele unterschiedliche Institutio-nen den Namen Universität, sie unterscheiden sich aber voneinander zum Beispiel in der Zahl der akademischen Grade, die sie in einem Jahr verleihen, oder in der Höhe der finanziellen Forschungsunterstützung (Drittmittel), die ihre Professoren einwerben.
Nach dem Klassifizierungssystem der 'Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching' in Princeton, New Jersey, werden Universitäten in acht unterschiedliche Kategorien einge-stuft. Danach gibt es in den USA im Jahr 1996 nur 125 Universitäten, die als Forschungsuni-versitäten klassifiziert werden, also in etwa jene Aufgaben erfüllen wie in Deutschland die Universitäten. Die anderen Kategorien sind nicht unbedingt minderwertiger, vielmehr gehören einige von ihnen zu den angesehensten Institutionen des Landes. Sie haben aber andere Aufgaben.
Konzentration der Forschung
Forschungsuniversitäten sind au▀erordentlich teure Institutionen, und zwar hauptsächlich wegen der finanziellen Mittel, die für die Promotionsarbeiten benötigt werden. Zur Vorberei-tung einer guten Promotion braucht man hervorragende Wissenschaftler, persönliche Anlei-tung, d.h. das Studenten/Professoren-Verhältnis mu▀ möglichst 1:1 sein. Zudem bedarf es einer gro▀en Bibliothek, teurer und moderner Anlagen und aufwendiger Laboratorien. Viele glauben - unter anderem auch ich -, da▀ sich die Vereinigten Staaten heute insgesamt nur 50 Forschungsuniversitäten der ersten Rangstufe leisten können.
Da Forschungsuniversitäten die teuersten Institutionen im Hochschulwesen sind, könnte ein Bürger mit Recht deren Wert für das Allgemeingut bezweifeln. Was die Allgemeinheit braucht, kann zum grö▀ten Teil mit Hochschulen gedeckt werden, die nicht notwendigerweise For-schungsuniversitäten sein müssen, und die daher viel billiger wären. Aus diesem Grund wer-den Forschungsuniversitäten um ihre Unterstützung kämpfen müssen, ganz gleich, ob diese aus privater oder öffentlicher Hand kommt.
Die Zukunft deutscher Universitäten (Zwischenüberschrift)
Ich glaube, da▀ die Zukunft des Hochschulwesens in Deutschland in einer viel differenzierte-ren Struktur liegt, als wir sie bisher gesehen haben. Es wird verschiedene Arten höherer Bil-dung geben. Innerhalb dieser gro▀en differenzierten Struktur wird Deutschland sich nur eine kleine Zahl wirklich moderner gro▀er Forschunguniversitäten leisten können. Die Zahl dieser teuren fortschrittlichen Universitäten wird sich ganz nach dem Stand der deutschen Wirt-schaft und nach dem relativen Einsatz von Mitteln für die Schaffung menschlichen Kapitals richten. Ich habe Bedenken, ob Deutschland mehr als zehn erfolgreich unterstützen kann, gegenüber den heute 85 Universitäten und sieben Gesamthochschulen. Die gleichmä▀ige Verteilung der finanziellen Förderung an so viele Institutionen des Hochschulwesens gibt da-gegen keiner von ihnen die wirkliche Möglichkeit, sich mit den besten der Welt zu messen.
Die wenigen teuren Forschungsuniversitäten in einer stark entwickelten Wirtschaft werden von allen Studenten im Hochschulwesen nur die talentiertesten und diejenigen, die mit Leib und Seele dem Studium gewidmet sind, als Studierende annehmen. Ganz sicher werden diese Studenten und ihre Professoren eine Elitestellung einnehmen. Es wird aber eine akademische Elite sein, die zweckmä▀ig von einer demokratischen Wirtschaft mit garantiertem Zugang für jeden akademisch qualifizierten Bürger getragen ist, im Gegensatz zu Eliten früherer Gesell-schaften, bei denen der Zugang zum höheren Bildungswesen oft von der jeweiligen Klassen-zugehörigkeit abhing.
Es scheint mir, da▀ eine Konsequenz der differenzierteren Struktur der legitime Wettbewerb sein wird, bei dem es sogar möglich ist, da▀ einige Institutionen bewu▀t mehr Unterstützung bekommen als andere. Wie es Hunderte von Jahren seit der Entstehung der ersten Universi-täten in Bologna, Paris, Prag und Heidelberg praktiziert wurde, werden die deutschen Univer-sitäten untereinander um gute Studenten, gute Lehrkräfte und öffentliche Unterstützung wer-ben müssen. Meines Erachtens ist dies das einzig sichere Mittel, da▀ Deutschland wirklich hervorragende und moderne Universitäten, die sich mit den Besten der Welt messen können, schaffen kann.
Dieser Beitrag ist eine gekürzte und bearbeitete Fassung eines Artikels, der in 'Forschung und Lehre' 3/97 erschienen ist
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